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Wie wird mein Kind wieder glücklich?

Wenn ein Kind traurig oder lustlos ist, sich zurückzieht, ist es manchmal für Eltern schwer zu erkennen, was dahintersteckt. Ist es eine vorübergehende Stimmung oder entwickelt sich vielleicht eine Depression? Was kann ich als Elternteil tun, wenn ich meinem Kind helfen will, wieder glücklich zu sein? Unser Autor Prof. Dr. Gunter Groen gibt im Interview Tipps zur Einordnung der Stimmungsschwankungen und erklärt, was Eltern selbst zur Unterstützung ihrer Kinder tun können.

Wie können Eltern wahrnehmen, dass ihr Kind eine Depression entwickelt oder entwickelt hat, wie kann man eine Depression z.B. von normalen Stimmungsschwankungen unterscheiden?

Gefühle wie Traurigkeit, Angst oder Wut gehören genauso wie Stimmungsschwankungen zum Leben dazu. Sie helfen jungen Menschen dabei, ihre Bedürfnisse zu regulieren und mit Belastungen umzugehen. Gerade im Jugendalter gehören auch stark wechselhafte Gefühle oft zu einer gesunden Entwicklung dazu. Wenn aber Traurigkeit, Lustlosigkeit, Rückzug und Selbstzweifel stark ausgeprägt sind, längere Zeit andauern und sich negativ auf das Familienleben, die Schule oder die Freizeit auswirken, kann das Ausdruck einer depressiven Entwicklung sein.

Welche Ursachen haben depressive Entwicklungen bei Kindern, gibt es typische Auslöser?

Eine Depression kann im Einzelfall viele unterschiedliche Gründe haben. Oft fühlen sich die jungen Menschen durch besonderen Stress, zwischenmenschliche Probleme oder andere Belastungen in der Familie, der Schule oder unter Gleichaltrigen überfordert. Hierzu zählen Trennungen und Verluste, Krankheiten oder Streit in der Familie sowie erlebte Ausgrenzung. Den jungen Menschen fehlen Mittel und Wege und oft die äußere Unterstützung mit diesen Belastungen umzugehen. Zeitgleich setzen sich die Jugendlichen mit bestimmten Entwicklungsanforderungen auseinander, die darin bestehen, sich selbst zu finden, Freundschaften zu gestalten, körperliche Veränderungen zu akzeptieren sowie schulischen und anderen äußeren Anforderungen gerecht zu werden. Eine Abwärtsspirale aus niedrigem Selbstwert und Versagensgefühlen, Rückzug und Vermeidung sowie zunehmender Traurigkeit und Antriebslosigkeit kann dann in eine Depression münden,

Depressionen verstehen

Grafik nach einer Vorlage aus: Groen/Petermann: Depressive Kinder und Jugendliche (2011)

Muss ich professionelle Hilfe holen und an wen kann ich mich als Elternteil wenden, wenn ich den Verdacht habe, dass mein Kind depressiv ist?

Wenn Sie Ihr Kind als besonders traurig oder reizbar und ohne Energie erleben, es als verändert wahrnehmen oder sich sonst aus bestimmten Gründen Sorgen über die Entwicklung ihres Kindes machen, sollten Sie lieber zu früh als zu spät professionelle Hilfe suchen. Mögliche Anlaufstellen sind der Kinderarzt, Erziehungsberatungsstellen sowie vor allem kinder- und jugendpsychotherapeutische oder -psychiatrische Praxen und Ambulanzen. In Notfällen, wie akuter Suizidalität, sollten Sie sich direkt an eine Klinik wenden. 

Oft treten Depressionen nicht einzeln auf, sondern es gibt noch andere psychische Störungen, welche können das z.B. sein?

Im Kindesalter können gleichzeitig vor allem Trennungsängste und eine starke Schüchternheit, Bauchweh, Schulunlust oder auch aggressives Verhalten auftreten. Im Jugendalter können Essstörungen, ausgeprägte soziale Ängste oder auch der Missbrauch von Alkohol oder anderen Drogen dazukommen.

Wie werden Depressionen therapeutisch behandelt und sind sie heilbar?

Depressionen sind in aller Regel mit einer Psychotherapie gut behandelbar und auch heilbar. Oft braucht es dabei allerdings etwas Geduld. Wesentlich in der psychotherapeutischen Behandlung ist eine vertrauensvolle Beziehung zum Kind bzw. Jugendlichen, die es ihm ermöglicht, über Belastungen zu sprechen und sich verstanden zu fühlen, aber auch eigene Stärken wieder zu entdecken. Elemente einer Kognitiven Verhaltenstherapie sind unter anderem die Förderung einer regelmäßigen Alltagsstruktur, angenehmer Freizeitaktivitäten und sozialer Kontakte sowie der Umgang mit vergangenen oder akuten Belastungen. Ebenso sollen einseitig negative Einstellungen und Erwartungen und, vor allem bei älteren Jugendlichen, ihre biografischen Hintergründe erkannt werden. Auch das Bewusstmachen bzw. das Entwickeln von eigenen Interessen, Werten und Zielen im Leben spielt eine wichtige Rolle. Gegen Ende der Therapie gilt es möglichen Rückfällen aktiv vorzubeugen.
Die Teilnahme der Eltern und auch anderer Bezugspersonen an der Psychotherapie ist grundsätzlich von großer Bedeutung.
In schwereren oder langwierigeren Fällen kann auch eine pharmakologische Behandlung mit Antidepressiva sinnvoll sein.

Was können Eltern selbst tun, um ihr Kind zu unterstützen?

Je nachdem welche Ursachen der Depression zugrunde liegen, gibt es sicherlich viele Wege und Ansätze, wie Eltern ihren Kindern helfen können. An dieser Stelle kann ich nur einige davon benennen. Eltern sollten ihren Kindern natürlich grundsätzlich liebevoll zur Seite stehen. Es hilft den Kindern, wenn sie sich gerade in Phasen von Traurigkeit auch in ihren negativen Empfindungen und Sorgen besonders ernst genommen und verstanden fühlen. Eltern sollten Gesprächsbereitschaft zeigen und Hilfe anbieten, sich dabei nicht aufdrängen. Ebenso sollten sie akute Überforderungen und erhöhte Ansprüche abbauen, gleichzeitig eine angemessene Alltagsstruktur erhalten und ihr Kind nicht über Gebühr schonen. Bei der Lösung von Problemen können sie aktiv unterstützen, gleichzeitig ihren Kindern möglichst viel Selbstständigkeit und eigene Erfolge ermöglichen. Familiäre Belastungen, wie die elterliche Trennung oder psychische Erkrankung eines Elternteils, sollten offen, altersgemäß und verständlich besprochen werden. Vor allem ist es wichtig, dass Eltern psychisch belasteter Kinder auch eigene Grenzen akzeptieren, äußere Unterstützung annehmen und mit den professionell Helfenden wohlwollend zusammenarbeiten.

Gibt es sinnvolle präventive Maßnahmen, die Eltern oder andere Bezugspersonen ergreifen können?

Wie gerade schon angedeutet, beeinflussen Eltern natürlich in vielerlei Hinsicht nachhaltig die Entwicklung ihrer Kinder.

Kinder profitieren von einem verlässlichen Bindungs- und Beziehungsangebot ihrer Eltern, Nähe und gemeinsamer Zeit. Um sich psychisch gesund zu entwickeln, hilft es Kindern, wenn sie Zutrauen, Ermutigung und Anerkennung ihrer Eltern spüren und erleben, sich dabei auch in ihren Schwächen und bei Misserfolgen verstanden und unterstützt fühlen.

Kinder brauchen Spaß und Freude und Möglichkeiten sich auszuprobieren und Dinge zu genießen. Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig als Eltern nicht alle der wachsenden gesellschaftlichen Ansprüche, zum Beispiel im Hinblick auf Schule, Freizeit, Konsum, Erziehung und Selbstverwirklichung, vorbehaltlos zu übernehmen. Kinder profitieren von einer klaren Orientierung und auch Grenzen, Mitsprache und gemeinsamen Vereinbarungen. Letztendlich müssen wir uns als Eltern auch in unserer eigenen Vorbild- und Modellfunktion hinterfragen: Sprechen wir offen über Gefühle und Sorgen und gehen Probleme aktiv an, haben wir angemessene Ansprüche an uns und andere, erlauben wir uns Fehler und überfordern uns nicht, können wir das Leben auch genießen und kümmern uns ausreichend um unsere Gesundheit?

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Prof. Dr. Gunter Groen

Prof. Dr. Gunter Groen ist Diplom-Psychologe und Psychotherapeut für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Seit 2010 lehrt und forscht er als Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) mit den Schwerpunkten Klinische Psychologie und Entwicklungspsychologie. Ebenso arbeitet er in einer eigenen psychotherapeutischen Praxis. Als Dozent und Supervisor ist er in der Ausbildung angehender Therapeuten engagiert. 2002 hat er an der Universität Bremen promoviert. In verschiedenen Kliniken und Einrichtungen war er therapeutisch tätig. Er ist Autor diverser Bücher für Therapeuten, Eltern und Erzieher zu Depression im Kinder- und Jugendalter. Er ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

Das sagt der Dorsch zu:

Depression im Kindes- und Jugendalter [engl. depression in childhood and adolescence; lat. depressus herabgedrückt], [EW, KLI], ist eine psychische Störung, die v. a. durch eine ausgeprägte und anhaltende emot. Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit (Antrieb) und Freudlosigkeit gekennzeichnet ist. Wie bei Erwachsenen ist Depression (= D.) auch unter Kindern und insbes. unter Jugendlichen (Adoleszenz) recht häufig. Die Sechs- bzw. Zwölf-Monats-Prävalenz wird für das Kindes- auf 2% und für das Jugendalter auf 4–8% geschätzt, ab dem Jugendalter sind Mädchen ca. doppelt so oft betroffen wie Jungen....

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